Ein Reisebericht von Rémi Kentz und Brigitte Pavy aus Frankreich im Juli 2012
Wir sind zurück von unserer Sizilienreise, einer Reise zum Herzen der biologisch und solidarisch arbeitenden Zitrusbauern und Bäuerinnen.
Der direkte Kontakt mit vielen ProduzentInnen des Netzwerkes, von dem unsere Gruppe Zitrusfrüchte während des Winters 2011/2012 bezogen hat, bestätigt uns, dass es sich bei diesen um leidenschaftliche und engagierte Personen handelt, die ganz kohärent in ihrem Handeln und ihren Überzeugungen sind. Ziel unserer Reise war es, unsere nahe Beziehung zu ihnen stärken und wir können sagen, es ist uns gelungen.
In Sizilien schien uns die Beziehung zwischen Stadt und Land sehr besonders zu sein. Sie scheint das Vermächtnis einer Tradition zu sein, in der die meisten früheren LandbesitzerInnen in der Stadt wohnten, aber "Land" besaßen, in welchem sie einige Wochen verbrachten, jedoch ohne dabei wirklich landwirtschaftlich zu arbeiten. Sie gingen häufig einer anderen Tätigkeit nach. Heute hingegen, zumindest bei den Menschen, die wir getroffen haben, handelt es sich um eine Generation, die eine wirkliche Leidenschaft für die Landwirtschaft empfindet. Eine Generation, die ein ökonomisches und ethisches Projekt lebt. Sie ist darauf bedacht, dass wir, von dem Grundelement Nahrung ausgehend, unsere gesamte Lebensart neu denken lernen indem wir biologisch anbauen und ProduzentInnen und KonsumentInnen wieder zusammen bringen. Für einige von diesen Personen handelt es sich um ein politisches Projekt im wahrsten Sinne des Wortes. Einige haben eine akademische Ausbildung absolviert bevor sie überhaupt zu dieser Lebensart gekommen sind. Die meisten sind Stadtmenschen, die sich generell entschieden haben, die Landwirtschaften der Eltern wieder aufzunehmen und dabei komplett auf diesem Land zu leben, wenn es ihnen irgendwie möglich ist.
Einige starke Überzeugungen vereinigen diese ProduzentInnen:
Regional produzieren, auch wenn angesichts der Konkurrenz zu Ländern wie Tunesien oder Marokko viele konventionelle ProduzentInnen der Ansicht sind, dass es für die Zitrusfruchtproduktion in Sizilien keine Zukunft mehr geben wird.
Natürlich produzieren, trotz den Schwierigkeiten, die der "Übergang" von konventioneller Landwirtschaft nach eine ohne Verwendung von Chemikalien aufgrund der Zeit, die die von Pestiziden getötete Erde benötigt um wieder zu leben, mit sich bringt. Roberto und Antonio Grimaldi waren in Sizilien (die Region Italiens, die derzeit 50% der nationalen Bioprodukte herstellt) Pioniere diesbezüglich. Aber sie müssen sich auch gegenüber bestimmten Biovereinigungen schützen, welche die Zitrusfrüchte nur kaufen in Hinsicht um die Möglichkeit zu haben, den Preis zu drücken. Diese Vereinigungen beanspruchen das Bio-Zertifikat ohne sich um Produktionsbedingungen und den Geschmack der Früchte zu scheren.
Solidarität ist für sie ein wesentlicher Wert. Solidarität zwischen ProduzentInnen, aber auch mit KonsumentInnen. Dies konnten wir, während unserer Zitrusfrüchtebestellungen letzten Winter, bestätigen. Sie bevorzugen den direkten Kontakt zu ihren KonsumentInnen anstatt eines Zertifikats, das von einer bürokratischen Institution, die sich immer mehr von den Sorgen der ProduzentInnen entfernt, geregelt wird. Dennoch haben alle bis auf zwei, Roberto und Gabriele, die Bio-Zertifizierung der EU.
Die Einhaltung gewisser Arbeitsstandards für die eigenen MitarbeiterInnen und die Ablehnung der Schwarzarbeit (ca. 30% der italienischen Schwarzarbeit geschieht in der Landwirtschaft).
Direkter Verkauf. Dies ist der einzige Verkaufsart, die von "den Hühner" (als Kollektiv) gewollt wird. Dies ist die einzige Verkaufsart, die von „den Hühnern“ (als Kollektiv) gewollt wird. Auch wenn nicht immer alle allein von der Direktvermarktung leben können, sondern die übriggebliebenen Produkte gegebenenfalls auch an Händler verkaufen müssen. Die ProduzentInnen drückten aus, wie befriedigend es ist zu sehen, wie die direkten EinkäuferInnen den Geschmack der Früchte loben, während der große Vertrieb nie auch nur eine einzige Frucht kostet. Beim Kauf interessiert diesen nur die Größe und die äußeren Aspekte der Frucht.
Das Bekanntmachen und die Entwicklung der solidarischen Ökonomie: Lokalmärkte, Internetseiten, Gruppen, Konferenzen, Aktionen.
Jedoch trotz des Enthusiasmus stoßen sie alle auf dieselben Schwierigkeiten:
1. Der Großvertrieb. Darunter sind auch einige Biovereinigungen, die heute so stark verankert sind, dass es schwierig ist, nicht mit ihnen zu tun zu haben. Aufgrund ihrer Größe konnten sie die ProduzentInnen oft zwingen, die Preise zu senken.
2. Das eigene Land schützen, das oft für Einkaufszentren begehrt ist, die um Catania herum derzeit wie Pilze aus dem Boden sprießen oder das aufgrund von Straßenbau bedroht ist. Es wäre rentabler für sie das Land zu verkaufen und einige fürchten, dass die eigenen Kinder aufgeben werden und das Land verkaufen werden.
3. Die Übergangsjahre zur Bioproduktion. Das ist die Zeit, die der Boden braucht, damit er wieder lebendig wird. In diesen Jahren fällt die Ernte meist sehr viel kleiner aus, auch wenn dies von einer Qualitätssteigerung kompensiert wird
4. Das Wetter, wie bei allen Bauern und Bäuerinnen. Dieses Jahr war laut "der Hühner" das schlechteste seit Menschengedenken. Sie hatten Hagel und Tornados während die Bäume die ersten Knospen hatten, sodass diese Bäume im nächsten Winter nichts produzieren werden. Dazu kam dieses Jahr ein lang andauernder sinnflutartiger Regen.
5. Der Transport bleibt der größte Problempunkt, da er sich hauptsächlich in den Händen der Mafia befindet. "Die Hühner" arbeiteten beispielsweise mit einer Firma (Riela) zusammen, die von der Mafia sabotiert wurde. Der Verantwortliche, der mit dem Urteil lebenslang im Gefängnis sitzt, hat von dort aus mit seinem Bruder eine neue Transportfirma gegründet, die der Firma alle KundInnen weggenommen und diese so zum Konkurs gezwungen hat. Der Bruder wurde zwei Tage vor unserer Rückfahrt festgenommen, was unsere Freunde sehr gefreut hat. Die Konkurrenz mit Mafiaunternehmen ist für die, die das Arbeitsrecht respektieren wollen, nahezu unmöglich, da die Mafiosi keine Skrupel haben und die Transportmittel für illegale Transporte benutzen, die sehr viel Geld bringen, wie z.B. die Kokaintransporte. Deswegen können sie Preise für den Transport vorschlagen, denen gegenüber es schwierig ist zu konkurrieren.
Das Netzwerk, von dem aus wir unsere Entdeckungen gemacht haben, ist das Konsortium Le Galline Felici (Die Glücklichen Hühner). Dieses wurde von Roberto gegründet, der seit 20 Jahren biologische Landwirtschaft betreibt. Sein Land ist klein und ein Teil wurde für den Bau der Autobahn Catania - Siracusa enteignet. Er ist die treibende Kraft der Gruppe und immer in Kontakt mit anderen Netzwerken, national und international.
Antonio und Patrizia Grimaldi sind ebenfalls sehr engagiert. Sie haben einen großen Zitrusfrüchtebetrieb und produzieren jetzt auch Wein, Olivenöl und ein wenig Gemüse. Sie bewirtschaften die Zitrusplantage von Antonios Eltern seit mehr als 20 Jahren biologisch. Ihre zwei Kinder haben jedoch nicht vor weiterzumachen. Ihre Zitrusplantage ist im wahrsten Sinne des Wortes von Einkaufszentren und von großflächigen Hangars (sowie Lidl) eingekreist.
Barbara hat ebenfalls eine sehr wichtige Rolle in der Gruppe: Sie ist für die Organisation der Bestellungen der Frischwaren zuständig. Sie besitzt eine schöne Zitrusplantage, die jedoch leider von einer Autobahnausfahrt durchquert wird. Sie wurde in ihrer Schwangerschaft zur Witwe und versuchte so alleine, mit der Hilfe von Nino, ihrem langjährigen Plantagenmitarbeiter, die Produktion ab 1991 auf biologische Landwirtschaft umzustellen - trotz des Spottes ihrer Cousins, die die andere Hälfte des Landes erbten und es bevorzugten alle Bäume zu fällen und die landwirtschaftliche Tätigkeit an den Nagel zu hängen. Ihr 23-jähriger Sohn Davide jedoch teilt ihre Überzeugung, arbeitet gemeinsam mit ihr und will selbst Produzent werden.
Wir haben ebenfalls Mario getroffen. Er beschäftigt sich mit der Informatik und den Bestellungen der abgepackten, "trockenen" Produkte. Wir haben Gabriele getroffen, den Buchhalter "der Hühner". Er hat einen Betrieb und produziert Oregano, Oliven und Mandeln im Zentrum Siziliens.
Der letzte Produzent, den wir getroffen haben, ist Antonio Coco. Er ist ein leidenschaftlicher Bienenzüchter, der uns seine Bienenstöcke gezeigt hat und uns ein ganzes botanisches Universum entdecken ließ. Er organisiert ebenfalls Weiterbildungskurse in Afrika, wo er viele Jahre verbracht hat, sowie in Südamerika.
Sie alle und noch mehr stellen sich auf der Homepage vor: www.legallinefelici.it
Darüber hinaus unterstützen "die glücklichen Hühner" andere ProduzentInnen und Netzwerke, wie z.B. die Gruppe Arcipelago Siqillyah. Von dieser haben wir Monika getroffen, die eine Zitrusplantage in der Nähe von Syrakus besitzt, die jedoch durch einen Brand zerstört wurde. Wir haben sie an einem Sonntag kennen gelernt, der von Roberto organisiert wurde um Monika zu helfen, die Bäume, die das Feuer überlebten aber ihre Blätter verloren hatten, zu retten.
Ein noch größeres Netzwerk, das ebenfalls von Le Galline Felici unterstützt wird, befindet sich in Kalabrien. Wir sind auch dorthin gefahren, um Christiana, die uns im Januar mit Roberto in Frankreich in den Bergen besuchen kam, auf ihrer Clementinenplantage zu besuchen. Netzwerke in Kalabrien zu gründen ist noch viel schwieriger als auf Sizilien. Christiana, die eine beeindruckende Energie besitzt, hat sich mit ihrer Schwester Marina entschieden, nicht nur die Zitrusplantage ihres Vaters auf biologische Landwirtschaft umzustellen, sondern auch ein eigenes Netzwerk von ProduzentInnen zu gründen, die sich so viel wie möglich auf Direktvermarktung, u.a. durch Foodcoops, konzentrieren wollen.
Dank der Initiative von Antonio (dem Imker) findet einmal pro Monat in Catania ein Biomarkt statt. Es ist ein Verkaufsort von verschiedenen Bioprodukten, aber gleichzeitig auch ein Moment der Begegnung, der für viele zum Ritual geworden ist.
Falls ihr ein wenig italienisch versteht, könnt ihr auf der Homepage alle ProduzentInnen finden, denn dort stellen sie sich selbst vor. Dort findet ihr auch ihre Produktliste und sonstige Neuigkeiten. Wir haben nicht alle ProduzentInnen des Konsortiums getroffen, sind aber fest entschlossen zurückzukommen und unsere Entdeckungen zu erweitern und auch andere italienische Netzwerke kennenzulernen. Unser Ziel dabei ist natürlich nicht nur, dass die Franzosen und Französinnen die Möglichkeit haben, diese köstlichen Früchte zu bekommen, sondern auch einen Austausch mit den französischen Netzwerken zu schaffen, die im selben Geiste handen, wie z.B. AMAP.